Schock Edition

Fünf mal zwölf Gedichte
Herausgegeben von Kai Pohl

Flammen aus dem Feuerlöscher
Robert Mießner, 17.06.2011, Junge Welt

Unter den zahlreichen Definitionen des Begriffs »Schock« gibt es eine fast vergessene: Er bezeichnet ein altes Zählmaß; 1 Schock gleich 5 Dutzend gleich 60 Stück. In seiner »Schock Edition« versammelt der Berliner Schreiber, Herausgeber und Gestalter Kai Pohl jeweils fünf Autoren in fünf Heften mit jeweils 12 Gedichten. Wer liest, ist nicht einsam. Ein Maler oder Grafiker leistet zusätzliche Gesellschaft: In der ersten Folge der limitierten Edition ist das die Schwarzmalerin Verena Kammerer, sie arbeitet mit schwarzem Kugelschreiber und weißem Papier. So illustriert sie die Hefte von Jürgen Born, Ann Cotten, Katja Horn, HEL Toissant und Hans Horn. Letzterer stellt fest: »seit zwei jahren schreibe ich / keine nikolausgedichte mehr« und fragt sein Gegenüber, »ob er etwa meint / poesie sei vorbei und die / wahrheit genießbar«.

Die zweite Folge der »Schock Edition« enthält Einzelhefte von Bert Papenfuß (»Pro tussi à gogo«), Clemens Schittko (»Manifest der Nachhut«), Brigitte Struzyk (»Das backsteinfressende Moos«), Su Tiqqun (»Im Geröll des Auges«) und Ralf S. Werder (»Bruchland«). Der gebürtige Dresdener Werder hatte im Herbst 1989 an diese Zeitung einen Leserbrief geschickt. Der Leiter der Abteilung Kultur antwortete: »Die Vorstellung macht mich grausen, Leute wie Sie hätten das Sagen«. Zwei Jahrzehnte später verschreiben sich Werder und die vier anderen Autoren nach wie vor dem nicht Marktförmigen. Die Texte sind verdichtete Miniaturen oder holen weit aus. Andere verweisen auf Philosophie und Mythologie. Bert Papenfuß verwandelt Verszeilen aus dem Hávamál der »Edda« in: »Besser ist’s, quick als lebendig zu sein; / wer flitzt, kriegt den Bogen. / Flammen sah ich schlagen / aus dem Feuerlöscher – / Pfeile aus dem Köcher«.

Die biographischen Angaben zu den Autoren bleiben spärlich: Mehr als das Geburtsjahr und den -ort erfährt der Leser nicht. Minimalismus setzt Phantasie frei. Die Zeichnungen steuert der Musiker Ronald Lippok (Rosa Extra, Ornament & Verbrechen, Tarwater, To Rococo Rot) bei. Ein Pappschuber als Sammelhülle verleiht den Heften Standfestigkeit im Bücherregal. Das ist praktisch, doch wollen sie gelesen werden.